Zweiter Tag: Mittwoch, 29.3.95

Logbuch-Eintrag 29.3., 9:15, nach dem Frühstück

Das Mahl war opulent, wir werden uns wohl wieder daran gewöhnen müssen, daß das Frühstück die einzige richtige Mahlzeit des Tages ist. Porridge, Toast, Rührei mit Champignons und Tomate - das wird für eine Weile vorhalten. Der Hausherr erzählt, daß es sein Job sei, nach einem ziemlich großen Grundstück zu sehen, das einer reichen englischen Familie gehört. Seine Frau ist die Köchin, wenn die Familie zur Jagdsaison hier lebt (20 Wochen im Jahr, sagt er). Überhaupt leben in dem kleinen Ort hier nur sechs Leute. Deshalb hat er wohl auch keinen Namen.

Nun, wir müssen zurück nach Luss, wieder auf der ätzenden schmalen Straße, denn Ela und Claudia wollen sich einen "Sash" kaufen, so eine Art Schärpe, die Frauen tragen, wenn sie sich schottisch anziehen... sie haben schon die Tartan-Bücher gewälzt und sich die Clans ausgesucht, deren Muster ihnen am besten gefallen. (Tartan heißt das meist karierte Muster der Clan-Tracht; am bekanntesten hierzulande ist der Tartan Royal Stewart, von Banausen einfach als "Schottenkaro" bezeichnet.)

Logbuch-Eintrag 29.3., 15:48, im Auto

Der Kiltmaker war wirklich ein Original, schön mit schottischem Akzent. Als Claudia einmal hustete, meinte er mit ernster Stimme: "Young Lady, you donīt drink enough whisky!". Erfreulich schnell hatten wir die Bestellung erledigt, und wieder ging es zurück nach Norden.

Da kann man nix sagen: Loch Lomond ist schon eindrucksvoll, wunderschön insbesondere dann, wenn nicht an jeder Ecke Touristen sind. Auf der gegenüberliegenden Seite ist der "Queen Elizabeth Forest Park", menschenleer bis auf eine Jugendherberge. Zwei große Bilder habe ich eingescannt.

Die enge Straße umgingen wir, indem wir nach Westen durchs Glen Douglas fuhren. Eine richtig hübsche Single Track Road mit "Passing Places" alle 50 Meter, maximal im 2. Gang befahrbar (siehe meinen Artikel "Autofahren in Schottland") - Gegenverkehr allerdings Null, obwohl es hier offenbar eine Menge Militäreinrichtungen gibt, zumindest war über weite Strecken links der Straße ein Zaun zu sehen mit der Beschilderung "MOD Property, Keep out". Bald hatten wir Loch Fyne erreicht und fuhren um dessen nördliches Ende herum nach Inveraray.

Zu Fuß ging es zum Inveraray Castle, dem Stammsitz der Campbells und Dukes of Argyll. Heute angeblich berühmt für seine tolle Inneneinrichtung, aber wir verzichteten auf eine Gabe an die gräfliche Eingangskasse und wanderten lieber auf dem "Dun na Cuaich"-Woodwalk durch Moor und über Stein bis über die Schneegrenze zu einem Turm, den wir auf einem Berg erspäht hatten. Nur zu empfehlen (die blaue Markierung, ab dem Castle-Parkplatz ausgeschildert, später auf eigene Faust immer aufwärts, dauert 90 Minuten hin und zurück, wenn man flott läuft). Der Ausblick, besonders bei diesem Wetter, war gigantisch; jetzt sind wir nach einem Einkauf im "Spar"-Markt von Inveraray wieder unterwegs.

Logbuch-Eintrag 29.3., 22:00, in der Jugendherberge Fort William

Um den Aufenthalt in einer britischen Jugendherberge zu genießen, muß man zwei Kriterien erfüllen: Erstens müssen alle Reisenden das gleiche Geschlecht haben, und zweitens muß man ordentlich auf das "Self Catering" vorbereitet sein. Beides erfüllen wir nicht, und deshalb ist es hier Scheiße.

Zum Glück hatten wir zwar im Spar-Markt Nudeln und Tomatensoße gekauft, aber um in der Küche hier ein schmackhaftes Mahl zu bereiten, fehlten uns doch Gewürze und Zwiebeln. Selbst Frühstück gibt es hier nur auf eigene Faust, d.h. uns fehlen mindestens mal Brot, Tee und Marmelade. Und das alles nur wegen der paar Pfund Ersparnis (wir zahlen hier Ģ 6.25 ohne Frühstück). Dafür muß ich in einem muffligen 24er-Schlafraum nächtigen, und das dauernde "ich geh jetzt mal aufs Zimmer, wann und wo treffen wir uns" bei diesen prüde getrennten Gebäudetrakten ist einfach doof. Wenn ich mit meinem Bruder und Claudia unterwegs wäre, ginge es ja noch... aber das würde ich ihr auch nicht zumuten wollen.

Nicht ganz hierher passende Anmerkung von einem späteren Besuch in Fort William (2005): Wer nicht selber kocht, sollte sich in das relativ neue "Cafe 115" begeben, am Ende der Hauptstraße auf der rechten Seite (Adresse ist 115, High Street). Sehr nettes modernes Restaurant, eine echte Erfrischung gegenüber den ganzen Bar-Restaurants, die sonst die High Street säumen. (Ende des Einschubs.)

Naja. Der Weg von Inveraray hatte uns noch durch das Glen Orchy geführt, ein wunderschönes Single-Track-Road-Tal neben dem gleichnamigen Fluß, bestimmt auch prima zum Wandern, aber wir waren nun doch etwas erschöpft. Dann machte Ela ihre ersten Fahrversuche, und abgesehen davon, daß sie sich gebärdete, als habe sie noch nie im Leben ein Schaltgetriebe bedient, war es auszuhalten.

Bald kamen wir nach Glencoe, einem mittelgroßen Ort in einer interessanten Hochmoor-Landschaft am Loch Leven. Hier fand 1692 das berühmt-berüchtigte "Glencoe Massacre" statt, von dem jedes zweite Volkslied in Schottland handelt (Anhänger des Campbell-Clans hatten den halben MacDonald-Clan unter Ausnutzung deren Gastfreundschaft gemeuchelt - noch heute sieht man an den Türen hier angeblich zuweilen Schilder "Dogs and Campbells keep out"). In Fort William angekommen, steuerte Ela uns elegant an der Tourist Information vorbei, und auch den Weg zur Jugendherberge hat sie nicht gleich erwischt, also mußte der Profi wieder fahren. Zwar fuhren wir auch mit ihm am Steuer erstmal etwa fünf Meilen an der Jugendherberge vorbei, aber der Weg bis ans Ende des Glen Nevis war sehr schön. Auf dem Rückweg fanden wir den Laden dann; Hauptkundschaft sind hier wohl die Bergsteiger, die den direkt gegenüberliegenden Ben Nevis (4406ft), den höchsten Berg Großbritanniens, bezwingen möchten. Jedes Jahr kommen etwa 10 ums Leben. Wir beschlossen, hier zu bleiben - für mich zumindest das letzte Mal in einer britischen Jugendherberge. Es sei denn, es gibt ein vernünftiges Zimmer für meine Mitreisenden und mich - und Frühstück. Ich hasse es, morgens kein Frühstück zu bekommen.

(Ein Leser merkte im Mai 1998 an: "Der Ben Nevis ist gar nicht so schlimm wie sein Ruf. Wir sind damals in Jeans und bei Nebel und schlechtem Wetter hinter den GoreTex-Heinis hergelaufen und hatten keine Probleme, zum Gipfel und zurück zu kommen.") - Aber nachher nicht beschweren :-)


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  Frederik Ramm, 2005-04-29