Seminararbeit Slowakische Republik


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4. Ausblick und Zukunftschancen

Es ist erstaunlich, wie gut sich die slowakische Wirtschaft nicht nur von der Trennung erholt, sondern auch seitdem weiterentwickelt hat. Man möchte fast sagen: Andere Transformationsländer entwickeln sich wegen ihrer besonnenen Politik zum Positiven, die Slowakische Republik trotz ihrer Politk. Die letzten beiden Jahre waren trotz der politischen Turbulenzen, auf die ich zum Teil hier eingegangen bin, von einer immer wiederkehrenden Nachricht geprägt: "Besser als erwartet". (Der an dieser Stelle vielleicht enttäuschte Leser sei versichert, daß eine umfangreiche Abhandlung über Kapriolen, Haßtiraden und Mißverhalten slowakischer Politiker – ungeachtet ihres humoristischen Wertes – den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen würde.) Kein Vierteljahr verging, ohne daß nicht irgendeine makroökonomische Kenngröße besser ausfiel, als man es der jungen Republik zugetraut hätte, kein Osteuropa-Überblick verzichtete auf anerkennende Worte über die Entwicklung in der Slowakei.

Über allen politischen Querelen darf man nicht vergessen, daß dieses Land über eine beispielhafte Verfassung verfügt (die Slowakische Verfassung enthält nicht nur die Standard-Elemente wie Menschenrechte und Beschreibung der Staatsorgane, sondern auch vergleichsweise moderne Ideen wie die Verantwortung vor der Umwelt und den Datenschutz.); die Staatsorgane und ihre Aufgaben sind dem westeuropäischen Standard – genauer gesagt: der Bundesrepublik Deutschland – nachempfunden. Der Verfassungsgerichtshof genießt großes Ansehen unter den Slowaken (eine Untersuchung der slowakischen FOCUS-Agentur im Dezember 1995 ergab, daß der Verfassungsgerichtshof mit 65% von den meisten Slowaken als vertrauenswürdig angesehen wird. Es folgen der Präsident mit 59%, das Parlament mit 53% und die Regierung mit 42%), und seine Rechtsprechung weist allzu abenteuerlustige Politiker in die Schranken. Das Amt des Präsidenten und die unabhängige Zentralbank, beides keine konstruierten Institutionen, sondern Organe mit Rückhalt in der Bevölkerung, vermögen ihren Teil zu einem geordneten Staatswesen beizutragen. Das Hauptproblem der Slowakei ist ein aufgeheiztes politisches Klima, in dem der politische Gegner zu oft "Feind" oder gar "Verräter an der slowakischen Sache" ist. Die Opposition hat dort einen schwereren Stand, als man es als demokratieverwöhnter Westeuropäer erwartet. Ein Grund dafür ist, daß sich Parteien und politische Profile noch immer in der Entwicklung befinden; häufig herrscht die Mentalität einer klassischen nationalen Sammelbewegung vor.

Insgesamt besteht wenig Grund zur Sorge: Das kleine Land hat keine andere Wahl, als sich den westlichen Bündnissen EU und vermutlich auch der NATO anzuschließen. Dieses Bestreben wird in jeder Rede des Ministerpräsidenten oder des Außenministers betont und von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt (einer Ende 1995 durchgeführten Umfrage zufolge wünschen 52% der Slowaken den Beitritt zur EU). Es vergeht keine Sitzung des Parlaments, in der nicht eine oder mehrere Gesetzesvorlagen oder -änderungen abgesegnet werden, deren Inhalt der Harmonisierung des nationalen Rechts mit EU-Normen und -Gesetzen gilt.

Der geringste Zweifel an der EU-Orientierung der Slowakischen Republik würde den wirtschaftlichen Aufschwung zunichte machen und die Regierung in eine Krise stürzen. Die EU wie auch die USA und einzelne europäische Staaten haben die Regierung Meciar oft genug darauf aufmerksam gemacht, daß man eine Räuberpolitik, wie sie in einigen Regierungsmaßnahmen und - äußerungen durchschimmert, nicht hinnehmen wird. Ich habe keinen Zweifel daran, daß sich nach den ersten unruhigen Jahren auch in der Slowakischen Republik eine politische Streitkultur etablieren wird, die keinen Anlaß zur Sorge mehr gibt.

Die in Teilen sozialistisch-populistisch angehauchte Privatisierungsstrategie der Regierung wird im Ausland nach wie vor argwöhnisch beäugt werden. Angesichts des Unmutes der Bevölkerung über die radikalen Maßnahmen unmittelbar nach seit der samtenen Revolution sei mir jedoch die Bemerkung gestattet, daß radikale Reformer wie Balcerowicz in Polen oder Klaus in Tschechien in der Slowakei womöglich auf Granit gebissen hätten und die Slowaken, denen man nicht ganz ohne Grund eine gewisse Starrsinnigkeit nachsagt, auf eine Privatisierung verzichtet hätten. Daß die Privatisierung unverzichtbarer Kern der wirtschaftlichen Reformen ist, weiß die Regierung besser, als es den Anschein hat. Die Verzögerung in manchen Bereichen hat ihre Wurzeln aus meiner Sicht in machtpolitischen Ränkespielen einer jungen Politikerklasse und nicht in fundamentalen Zweifeln am marktwirtschaftlichen System.

Die zugegeben für westliche Augen teilweise extreme Politk des Charismatikers Meciar kann auch als ein Mittler zwischen der Slowakischen Bevölkerung und den westlichen Standards, der EU und der NATO, gesehen werden. Er treibt den EU-Beitritt voran und lenkt seine Republik damit in einen sicheren Hafen, nährt aber zugleich den Stolz der von Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Problemen gebeutelten Bevölkerung: "Wenn wir der EU beitreten, dann auf unsren Füßen – und nicht auf Knien" (Zitat Meciar).


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Frederik Ramm, Januar 1996