Mein Fazit

Als ich die Zwischenergebnisse ansah, war ich zuerst beeindruckt. Ganz oben in der Hitliste des Verkosters stand mein Whisky "H" - der zweitteuerste im Vergleich! -, und dann auch noch mit der korrekten Anmerkung "Macallan?". Wenn das so weitergeht, dachte ich mir, dann habe ich diese Whiskykenner wirklich unterschätzt!

Insgesamt ist das Ergebnis allerdings sehr durchwachsen. Ein Versuch der Strukturierung:

Alter und Geschmack

Die drei Bruichladdich-Whiskies unterschiedlichen Alters - F (10 Jahre), N (15 Jahre) und L (20 Jahre) - hat der Verkoster tatsächlich auch in dieser Reihenfolge bewertet, d.h. der älteste schmeckte ihm am besten. In der relativen Betrachtung also ein Treffer. Andererseits hat der älteste der drei - der der teuerste Whisky im Test war - trotz allem nur ein "Gehobene Mittelklasse"-Prädikat ("Glenfiddich?") bekommen und rangierte damit eine Klasse unter den Whiskies von Aldi und Lidl.

Bei den zwei Glengoyne-Proben - O (10 Jahre) und G (21 Jahre) - klappte es hingegen nicht mit der Alters-Rangfolge: O wurde als "unspektakulär" und "untere Mittelklasse" eingestuft, G - der immerhin dritt-teuerste und älteste Whisky im Test - kam in die gleiche Klasse, aber noch hinter O.

Insgesamt lässt sich keine Korrelation zwischen dem Alter und der Bewertung des Verkosters erkennen:

Blends

Die drei Blends - und damit auch die drei preiswertesten Whiskies - im Test haben unterschiedlich abgeschnitten. The Famous Grouse ("M") war dem Verkoster möglicherweise schon einmal serviert worden ("Kommt mir bekannt vor, riecht wie 'gewöhnlicher Barwhisky'... Richtung Johnnie Walker") und wurde in der "Gehobenen Mittelklasse" eingeordnet. Johnnie Walker Red Label ("P") wurde nicht als Blend identifiziert ("könnte trotzdem ein höherwertiger Malt sein, bin nicht sicher") und ebenfalls in die "Gehobene Mittelklasse" eingeordnet. Old Keeper ("J"), der Blend von Aldi, ruft zwar seltsame Assoziationen hervor ("Leicht 'künstliche' Note"), erhält aber insgesamt das Prädikat "Oberklasse" ("Sehr weich, vollmundig, angenehm") und landet auf dem vierten Platz.

Das insgesamt doch sehr gute Abschneiden der Blends bestätigt ein bisschen meine Vermutung, dass sie vom Markt zu unrecht geringgeschätzt werden und dass um die sortenreinen Whiskies mehr Kult gemacht wird, als das vom reinen Geschmackserlebnis her gerechtfertigt wäre. Zu der Tatsache, dass ein Blend eben eine Mischung aus verschiedenen Sorten ist, passt, dass der Verkoster bei keinem der drei Blends irgendwelche Extreme festgestellt hat. (Vier Single Malts - G, N, F und A - gerieten beim Verkoster zu Unrecht in den Verdacht, ein Blend sein zu können.)

Dass der 12jährige Cardhu ("K") eine bedeutende Komponente im Johnnie Walker Red Label ("P") ist, fiel dem Verkoster nicht direkt auf; zwar wurden beide Sorten mit den Attributen "malzig, rauchig" bedacht, aber das kann ich nicht so ganz gelten lassen, schliesslich sind Malz und Rauch unverzichtbare Komponenten jeder der hier untersuchten Sorten.

Sortenraten

In den Fällen, in denen der Verkoster eine spezielle Destillerie oder gar eine Whiskysorte genannt hat, lag er meistens daneben (aber alles andere wäre in meinen Augen auch übermenschlich gewesen). Für mich überraschend wurde der 18jährige Macallan ("H") tatsächlich als (potentieller) Macallan erraten. Beim Famous Grouse ("M") wurde auf Johnnie Walker getippt, das geht zumindest in die richtige Richtung; beim Glenfarclas 105 ("A") wurde verächtlich geraten: "Johnnie Walker Red Label?" - zugegeben, das Zeug in Faßstärke gurgelt man nicht so runter, aber dass der Verkoster in so einem Moment gleich auf "Blend" tippt, bestätigt doch, dass gegenüber den Blends Vorurteile existieren.

Der 20jährige Bruichladdich ("L") wurde irrtümlich für einen Glenfiddich gehalten, obwohl die Destillerien (und die Preise) recht weit von einander entfernt sind.

Der 12jährige Glen Ord ("D") mit seiner Destillerie fest in den schottischen Highlands wurde spektakulär irrtümlich für einen 16jährigen Lagavulin gehalten (Whisky von der Insel Islay, der preislich etwa gleichauf liegt, aber nicht im Test vorkam). Dieser Irrtum könnte aber eventuell (auf eine mir nicht weiter erklärliche Weise) damit zusammenhängen, dass die Flasche bei mir schon eine ganze Zeit lang offen war.

Zwei Whiskies wurden geschmacklich in die Nähe des 10jährigen Laphroaig (ebenfalls Islay, Literpreis 40 EUR, nicht im Test) gerückt, und zwar der 7jährige Ledaig ("Q") von der Insel Mull und der 8jährige Bowmore Legend ("C") von der Insel Islay - hier klappte also zumindest die Zuordnung "Inselwhisky". Nicht funktioniert hat sie übrigens bei den drei schon erwähnten Bruichladdich-Whiskies; die Destillerie ist ebenfalls auf der Insel Islay, aber bei keinem der drei hat der Verkoster das auch nur ansatzweise erraten. Das legt nahe, dass Whiskies von den Inseln nicht zwangsweise anders schmecken müssen, sondern dass die als "inseltypisch" wahrgenommenen Geschmacksunterschiede durchaus auch einem Inselwhisky fehlen (oder, wie bei Glen Ord, bei einem Hochlandwhisky vorhanden sein) können. Es hängt alles davon ab, wieviel Torf man ins Feuer kippt...

Preis und Qualität

Wie erwähnt, hat einer der teuersten Whiskies dem Verkoster tatsächlich am besten geschmeckt. Zum Ausgleich finden sich aber auch die Whiskies von Aldi und Lidl in der "Oberklasse" wieder.

Den irischen Bushmills ("E"), eine in Deutschland praktisch in jedem Irish Pub (und darüber hinaus) erhältliche und recht preiswerte Standardsorte, hat der Verkoster gemeinsam mit Glen Ord ("D") an Platz 2 gesetzt. Irischer Whiskey wird dreimal destilliert, schottischer Whisky nur zweimal - eventuell lässt das diese Sorte aus der getesteten Masse herausstechen. (Mit dem Macallan von Platz 1 teilt sich der Bushmills übrigens die Eigenschaft, in mehr als einem Fass gereift zu sein - leider weiss ich nicht, ob das noch auf weitere im Test zutrifft.)

Platz 4 auf der Hitliste nimmt Old Keeper ("J"), der Blend von Aldi und das billigste Produkt im ganzen Test, ein, gefolgt von Ben Bracken ("B") ein, dem billigsten Single Malt im Test und der Hausmarke von Lidl.

Abschliessende Beurteilung

Irgendwas muss dran sein an diesem 18jährigen Macallan Fine Oak. Ich hatte ihn aus einer privaten Whiskydatenbank ausgewählt, wo er sowohl durch Experten als auch durch die Leser Bestnoten erhielt, und prompt fand auch mein Verkoster Gefallen daran. So ganz "vom Himmel gefallen" sind solche Bewertungen also nicht. Im großen und ganzen neige ich aber dazu, dieses Ergebnis als einen Ausreisser zu sehen und das Fazit zu ziehen: Wer den Preis auch nur ansatzweise als Qualitätssignal interpretiert, wird sein Leben lang irgendwelches teure Zeug schlürfen, das ihm in Wahrheit gar nicht so gut schmeckt. Ausser dem Macallan hat mein Verkoster fast allem, was der Markt als "gut und teuer" bewertet, eine Absage erteilt, und stattdessen einen Blend aus dem untersten Preissegment in die Oberklasse eingeordnet. Und wieso auch nicht: Selbst bei einem "Single Malt" werden ja Fässer verschieder Jahrgänge zusammengekippt (die Altersangabe bezieht sich immer auf den jüngsten). Was ist dann so schlimm daran, auch verschiedene Whiskysorten zu mischen, wie es die Blender tun? Der "Kenner" vermisst dabei die Authentizität - wenn der Geschmack später durch Mischen beliebig steuerbar ist, zählt doch die Arbeit der Destillerie nichts mehr. Klar: ausgefallene Geschmacksnoten werden im Blend nivelliert; wer auf der Suche nach dem Mega-Torfgeschmack ist, der wird immer zu einem Single Malt greifen müssen. Aber deswegen ist der Mega-Torfgeschmack nicht gleich ein Kennzeichen eines hochwertigen Whiskys.

Abschliessend muss ich aber auch ein Zugeständnis machen. Ich bin mit der Haltung an dieses Experiment herangegangen, dass jemand, der einen teureren Whisky geschmacklich bevorzugt und diese Bevorzugung ohne Kenntnis des Preises nicht reproduzieren kann, sich selbst täuscht und dass das schlecht ist. Aber, wenn ich so recht darüber nachdenke: Es ist vielleicht suboptimal, weil er für weniger Geld einen besseren Geschmack haben könnte - aber wenn zum gemütlichen Tropfen am Kamin eben auch das Gefühl dazugehört, sich ein Glas für 5 Euro statt 50 Cent einzuschenken, dann sei's drum. Zum Gesamterlebnis gehört neben dem Geschmack ja auch die Stimmung. In diesem Sinne: Sláinte!

Ich danke dem Verkoster, Andreas Iwanowitsch, für das Mitmachen bei diesem Experiment! Der Ausgang ist für ihn natürlich etwas unglücklich, weil er sich jetzt eine Flasche "Macallan 18 Years Old" für 80 Euro kaufen muss. Hätte der "Old Keeper" gewonnen, hätte man gut 70 Euro gespart...

Ende 2006 startete ein Nachfolge-Projekt mit 56 Teilnehmern.


  Frederik Ramm, 2007-03-01